Das Ende der Selbstkasteiung
- Alexander Lanz

- 15. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Ich schaffe das nicht. Ich bin einfach nicht talentiert dafür. Ich werde nie so gut sein wie er. Ich war schon wieder zu langsam. Ich bin zu ungeschickt. Ich bin ein schlechter Vater. Warum habe ich mich schon wieder auf so jemanden eingelassen! Ich checke es offenbar nie. Wie konnte ich nur so dumm sein, das hätte ich besser wissen müssen. Ich werde bestimmt wieder scheitern. Ich bin einfach zu undiszipliniert. Immer trete ich in die gleiche Falle. Was hab ich denn schon erreicht im Leben!? Ich bin nicht attraktiv, habe nicht viel zu bieten. Ich bin wohl einfach nicht beziehungsfähig. Schon wieder etwas falsch gemacht. Das war ja peinlich von mir. Ich halte besser den Mund, ich bin einfach zu viel. Geschieht mir recht, ich bin ja selber schuld, und so weiter und so weiter.
Wenn du bis hierher durchgehalten hast mit Lesen, fühlst du dich wahrscheinlich nicht allzu beflügelt. Was macht diese Stimme gerade mit dir?
Mir wird es schon nur beim Zusammentragen dieser Selbstverurteilungen halb übel, wenn ich ihre Wirkung zulasse. Sie hängen einen schweren Mantel über mich, rauben mir die Energie, dämpfen meine Lebensfreude, legen eine beengende, schmerzhafte, traurige Schicht über meinen Herzraum, lassen mich schrumpfen, machen mich klein, kraft- und lostlos.
Du hast deine persönliche Variante dieser Stimme (ich kenne niemanden, der sie nicht hat). Wenn sie losgeht in deinem Kopf, geht es dir vielleicht ähnlich. Du hörst ihr zu, sitzt sozusagen mit ihr zusammen im Richtersaal und lässt dich verurteilen. Das ist selbstzerstörerisch. Aber es is keineswegs ein unabwendbares Schicksal. Deshalb ermutige ich dich von Herzen:
Hör einfach auf damit.
Diese alte Stimme sieht nicht, wer du bist. Sie hat sich aus Glaubenssätzen, Ansprüchen, Idealen, Vorstellungen, Erwartungen und Bewertungen gebildet, die aus deiner persönlichen Vergangenheit und aus dieser Leistungsgesellschaft stammen, sich unbemerkt in deine Persönlichkeit geschlichen haben und dort zäh festkleben. Scheinbar festklebten, bis jetzt.
Es ist Zeit, definitiv zu erkennen, dass sie dir nicht guttun und sie zu verabschieden. Entlarve die Lüge dieser Stimme und sag ihr in aller Deutlichkeit, sie soll abzischen. Spüre, wie dich das aufrichtet und in deine Kraft bringt. Hättest du einen Gast in deiner Wohnung, der dich mit solchen Bewertungen bombardierte, würdest du ihn wohl kein weiteres Mal einladen, oder? Aber unseren inneren Richter und Antreiber lassen wir ein halbes Leben lang gewähren – und glauben ihm unterwürfig.
Fertig. Die Stimme hat ausgedient. Entziehe ihr deine Aufmerksamkeit, es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt.
Und dann lass dich ins Herz sinken. Du entscheidest dich, an deinem inneren Radio, aus dem ein nerviger, lärmiger Sound dröhnt, der dich runterzieht, den Knopf zu drehen, bis du eine wunderbare Musik findest, die dich entspannen lässt und dich tief berührt. Du wählst den Sender, die Frequenz, deines Herzens, wirst still, horchst und fühlst.
Dein Herz öffnet das Tor zu deiner wirklichen Natur. Zum lichtvollen Wesen, das du bist, das sich für ein Leben in diesem Körper auf dieser Erde mit allen Herausforderungen entschieden und sein Bestes gegeben hat und gibt und glücklich in Liebe und Frieden leben will.
Klar, die Stimme verschwindet nicht plötzlich ein für allemal. Aber deine Entschiedenheit wird einen grossen Unterschied machen. Ehre dich jedesmal, wenn du dir bewusst wirst, dass sie gerade wieder aktiv ist im Kopf, und weise sie klar und liebevoll an, zu schweigen. Du hast es in der Hand. Und wenn es nicht jedesmal funktioniert, sei wohlwollend mit dir, sonst lädst du die Stimme gleich wieder zur Hintertür ein. Sie wird leiser werden und mehr und mehr deiner Selbstliebe Platz machen.
