Er weiss, wie's ist. Er behauptet nicht einfach irgendwas, er hat recht. Da soll ihm niemand kommen, es gibt nichts zu rütteln, nichts zu diskutieren. Warum über Dinge streiten, die eh klar sind.
Er zeichnet sich durch eine scheinbare Entspanntheit aus. Falls er ein Lächeln aufsetzt, ist es ein überlegenes, das die Unanfechtbarkeit des Wissenden unterstreicht und den allfälligen Eindruck einer gewissen Strenge gleich wieder entkräftet. Was andere an ihm als arrogant oder besserwisserisch deuten könnten, ist für ihn einfach Klarheit. Punkt. Okay, in gewissen Härtefällen muss er dann schon auf den Tisch hauen und laut und deutlich werden, oder aus guten Gründen auch mal richtig wütend.
Jetzt kommt's: Dieser Typ schleicht sich manchmal von hinten an mich heran und, ohne dass ich's merke, schlüpft er in mich hinein und tut so, als sei er ich. Ganz schön fies. Aber zugegeben, wenn ich dann als er agiere, fühlt sich das erstmal schon ziemlich kraftvoll an. Wissen ist Macht.
Ganz allmählich beschleicht mich allerdings ein schales Gefühl, als ob ich in einem dicken Kostüm stecken und eine Rolle spielen würde (tue ich ja auch), die mich isoliert und distanziert – von andern wie auch von mir selbst. Ich fühle mich eng und starr wie mit Scheuklappen und realisiere, wenn ich ehrlich in mich horche, wie ich mir selbst weh tue mit meiner Rechthaberei.
Es hat einige Zeit gebraucht, bis ich begonnen habe, dieses Spiel zu durchschauen. Mittlerweile komme ich leichter zum Punkt, an dem ich mir bewusst werde, dass ich gar nicht er bin. So kann ich innehalten, tief durchatmen, weiter werden und loslassen. Schliesslich mein Herz wieder fühlen und mein Gegenüber hören und sehen.
Und bestenfalls kann ich mich mit dem Ort in mir verbinden, an dem es unwesentlich ist, ob ich recht habe, sogar wenn ich wirklich recht habe. Wesentlicher ist es, dass Verbundenheit möglich ist – mit mir und mit der andern Person. Denn: Ich kann entweder recht haben oder Liebe.*
Viel Spass beim Rollenspiel und beim Aussteigen!
PS: Um dem Rechthaber gerecht zu werden: Er ist kein von Natur aus «böser» innerer Anteil, das gibt es aus meiner Sicht nicht. Er ist aus einer Schutzstrategie heraus entstanden. Vermutlich habe ich ihn früher mal gebraucht, weil er mich davor schützte, mich ohnmächtig, klein und beschämt zu fühlen. Gut, konnte ich ihn damals rufen. Gut, kann ich ihn heute wieder verabschieden.